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Multifamilientherapie

Multifamilientherapie

Die Idee, Familien in den Unterricht zu integrieren, basiert auf multifamilientherapeutischen Prinzipien und wurde als „family education“ in London von Eia Asen und seinem Team entwickelt.

Multifamilientherapie ist ein therapeutischer Ansatz, bei dem Gruppen- und Familientherapie kombiniert werden und 4-10 Familien gleichzeitig behandelt werden (siehe Asen/Scholz, 2009).

Häufig sind es „Multiproblemfamilien“, bei denen unterschiedliche Helfersysteme involviert sind (Familienhilfe, Jugendamt, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Erwachsenenpsychiatrie), oft mit dem Effekt, dass die Familien immer mehr Verantwortung abgeben, sich zunehmend hilflos fühlen und auch die Professionellen sich gegenseitig paralysieren. In der Multifamilientherapie wird den Familien Verantwortung zurückgegeben, die Rolle des Therapeuten/Beraters wird neu definiert.

Ziel ist es , dass sich die Familien gegenseitig stützen und beraten und dadurch zunehmend wieder ihre eigene Kompetenz erleben. Die Aufgabe der Berater und Therapeuten besteht darin, hilfreiche Kontexte zu schaffen (Wer soll dabei sein? Wo soll das Ganze stattfinden? Wie soll die konkrete Situation gestaltet sein?) und durch gezielte Fragen zum Handeln zu ermutigen. Sie sollen Ressourcen wecken und die Interaktion zwischen den Familien fördern.

Multifamilientherapie setzt auf ganz unterschiedlichen Ebenen an. Sie hilft, soziale Isolation zu überwinden, die bei Familien mit ausgeprägten psychosozialen Problemen häufig auftritt. Durch die gemeinsame therapeutische Arbeit mit anderen Familien werden Vorurteile abgebaut und gegenseitiges Lernen angeregt. Dabei erweitern neue Sichtweisen die eigene Perspektive. Familien sehen sich in anderen Familien gespiegelt, geben und erhalten Unterstützung. Sie experimentieren mit neuen Verhaltensweisen und erleben sich dadurch immer weniger in der Opferrolle sondern zunehmend mehr als „Gestalter“ ihres Lebens.

Multifamilientherapie wird europaweit in verschiedenen Ländern praktiziert (England, Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Polen) und verschiedene Projekte arbeiten in Programmen der europäischen Union zusammen, um diesen Ansatz weiterzuentwickeln und wissenschaftlich zu validieren. (DAPHNE)

Die Arbeit mit Familiengruppen im Schulalltag fördert eine enge Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus. Die Eltern können anders Anteil nehmen am schulischen Leben ihrer Kinder, so dass sich gegenseitige Vorbehalte in der Regel auflösen und die Kinder erleben, dass Schule und Elternhaus an einem Strang ziehen. Durch die Unterstützung in der Elterngruppe und während der gemeinsamen Reflexionsrunden werden die Eltern zunehmend sicherer in ihrer Erziehungsfähigkeit.

Aus der Resilienzforschung ist bekannt (Wustmann et al.), dass sich der autoritative Erziehungsstil günstig auf die Entwicklung von Kindern auswirkt. Eine entsprechende Haltung wird in den Multifamiliensitzungen gestärkt: Das Interesse und die liebevolle Zuwendung, aber auch das Bestehen auf und das Durchsetzen von vereinbarten Regeln. Gerade das Durchsetzen von Vereinbarungen kann hier immer wieder „life“ geübt werden, jedoch nicht allein, sondern in einem unterstützenden Kontext.

Der „family education“ Ansatz findet zunehmend in Europa Verbreitung. So gibt es in unserem Nachbarland Dänemark bereits über 100 Klassen, die nach diesen Prinzipien arbeiten. In England gibt es Angebote unterschiedlicher Intensität: in der Familienschule werden 10 Schüler im Alter von 5-16 Jahren über einen Zeitraum von 3-9 Monaten viermal die Woche gemeinsam mit mindestens einem Elternteil beschult.

Daneben gibt es die Familienklasse, in der einmal in der Woche 8 Kinder mit elterlicher Präsens und den dazugehörigen multifamilientherapeutischen Runden unterrichtet werden. Hierbei spielen „gestandene Eltern“, die selbst als Eltern mit ihrem Kind erfolgreich an einem family education setting teilgenommen haben, eine wichtige Rolle. Sowohl bei der Familienschule als auch bei der Familienklasse besuchen die Kinder von Anfang an zumindest stundenweise ihre Heimatklasse, damit die Verbindung nicht abreißt und deutlich bleibt, dass der Schüler oder die Schülerin nach wie vor zu dieser Schule gehören.